Stimmen der Zeit Nr. 9/2015 S. 633 Schatten einer unsichtbaren Welt Über einen neuen Lyrikband von Heinz-Albert Heindrichs von Otto Betz Heinz-Albert Heindrichs ist ein Phänomen. Die einen schätzen ihn als Komponisten und Musiker, hat er doch viele Jahre für die Bühne Theatermusiken geschrieben, aber auch Musik für Orchester, für Chöre, ganze Liederzyklen nach Gedichten von Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Georg Trakl und vielen anderen. Und schließlich war er lange Jahre als Professor für Komposition und Musikpädagogik tätig. Andere lieben ihn wegen seiner Bilder: Seine Grafiken umspielen geheimnisvolle Schriftzeichen, die wie Palimpseste untergegangener Kulturen andere Welten evozieren. Vor allem aber hat er sich als Lyriker einen Namen gemacht und mit vielen Bänden eine große Leserschaft gewonnen. Mit einer synästhetischen Begabung heimgesucht, war es ihm wohl bestimmt, zwischen den Künsten zu mäandern und immer neue Ausdrucksformen für seine vielfältigen Begabungen zu finden. In seinem letzten Gedichtband hat er dieser Dreifachberufung einmal unter dem Titel «Lebensmär» so Ausdruck gegeben: dass es dich nicht zerrissen
jetzt bist du alt und erahnst
wär auch nur eine
In 16 Bänden ist der Ertrag eines langen künstlerischen Lebens gesammelt (wobei ein Ende bei Weitem nicht abzusehen ist). Das Ringen um das rechte Wort gehört seit Jahrzehnten zum alltäglichen Leben des Dichters. Immer wieder neu muss er Antwort geben auf die Herausforderungen und Widerfahrnisse der Welt, aber auch auf die Phänomene des Schönen und die unbegreiflichen Wunder verborgener Ordnung. Da spiegelt sich nicht nur ein langes Leben in seinen wichtigsten Stationen, immer wieder musste er sich neuen Fragen stellen und Antworten versuchen, immer wieder machte er auch leidvolle Wandlungen durch. Wie viele scheinbare Sicherheiten und Gewissheiten wurden fraglich. Und trotzdem wurde der eigene Weg als «Jakobsweg» erlebt: Nicht vor den Füßen
wer haucht den Atem
wer schöpft das Meer
es war schon immer ohne Ende dein Weg Mit der biblischen Welt und dem Raum der Kirche war Heindrichs immer verbunden, mitfühlend und mitleidend. Aber die kirchliche Neigung, sich gegen Einsichten im Verständnis der Welt oft genug zu verschließen, lieber in einer vertrauten Denkweise des Überkommenen zu verharren, hat ihm manchmal auch die Identifikation schwer gemacht. Sein Glaube war einer, der immer wieder neu errungen werden musste: Allein im Dunkel
ob dies
einer nicht sichtbaren Kraft Die Größe des Menschen kann nicht wahrgenommen werden, ohne dass man auch seine verschwindende Winzigkeit zugibt. Wir müssen herunter vom Thron, um auch wieder «stehen» zu können. Alles scheint sich beinahe aufzulösen und in Stücke zu zerfallen, bis sich eine neue Gestalt zu erkennen gibt: Weiß wohl dass die Zeichen sich ändern
Ein Schauender ist Heindrichs, deshalb muss er Bilder finden, um dem Geheimnis des Daseins näher zu kommen. Das Ungeheuerliche der kosmischen Weiten ist nicht vorstellbar und macht uns Angst. Wird ein Gleichnis gefunden, dann ist zwar nichts erklärt, alles bleibt so rätselhaft wie vorher, und trotzdem wird man damit etwas vertrauter: Vom Zufall lass
mehr
Man denkt bei diesen Versen an Adalbert Stifter und an sein sanftes Gesetz. Ein Dichter steht ja in gewisser Weise stellvertretend für uns alle, er nimmt unsere ungelösten Fragen auf sich, geht damit um, verbindet sie mit seinen eigenen, und entlässt uns wieder mit neuen Fragen, die plötzlich einen weiteren Horizont sichtbar machen. Wie lange noch Menschen
die Sonne noch strahlt
wer nur hat es zu denken
Uns begegnet hier eine Lyrik, die nicht in ein Traumland des Versponnenen flieht, die sich den harten Herausforderungen stellt und nicht davonläuft, wenn uns die Fragen um die Ohren fliegen. Vielleicht muss ja ein Dichter, wenn er auch eine seherische Gabe hat, gleichsam die offene Wunde der Gesellschaft sein, muss diese Offenheit aushalten, die sich nicht schließen darf. Ein Lyriker muss uns nicht unbedingt die Welträtsel lösen und eine neue Interpretation des Daseins liefern, aber vielleicht stößt er eine Veränderung des Denkens an oder öffnet unser Blickfeld: Biogramm wie
Immer begegnen einander Skepsis und Hoffung, nur die Resignation hat keinen Platz. Aber auch auf die schnellen Antworten wird verzichtet, leichtgewichtiger Trost ist bei Heinz-Albert Heindrichs nicht zu finden. Wir werden aufgefordert, die ungelösten Daseinsrätsel erst einmal stehen zu lassen. Rätsel um Rätsel dass wir
aber wohin
glaubst du denn das je
«Ist irgendetwas Gewisses in menschlichen Dingen?», hat Euripides schon von zweieinhalb Jahrtausenden gefragt und geantwortet: «Ich weiß es nicht.» Aber er hat sich auch damals schon gewundert, «dass der unerwartete Ausgang oft aus dem Gegenteil hervorspringt». Auch Heinz-Albert Heindrichs zeigt uns keine geschlossene Welt. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir auf schwankendem Boden stehen: Aber wir sind von einem großen Horizont umgeben. Gottes Teil wie vielen
doch
wie Vernunft und Glaube
Wir gehen als Leser seiner Gedichte mit dem Poeten durch die Täler der Verunsicherung und Anfechtung, aber wir werden mit ihm auch zu einer neuen Hoffnung geführt. Wenn wahr ist was die Forscher berichten
Was für eine knappe Sprachform hat Heindrichs gefunden, oft besteht eine Zeile nur aus einem einsilbigen Wort. Das gibt auch einen Hinweis darauf, wie ein solches Gedicht gesprochen werden muss, wenn wir den Versen unsere Stimme leihen: Wie viele Pausen müssen bedacht werden, wie sehr muss sich unser Sprechen verlangsamen. Jedes Wort braucht seinen Hallraum. Das Fragende und Experimentierende gehört zu diesen Gedichten, sie übermitteln keine ewigen Wahrheiten, sondern tasten sich ins Noch-nicht-Eindeutige vor, ins Neuland. Ihre Musik wird uns nicht ins Ohr geblasen, sie muss erst erlauscht werden.
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